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Anstöße zum Fasten mit dem hl. Ephräm dem Syrer

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Anstöße zum Fasten mit dem hl. Ephräm dem Syrer

Von Michaela C. Hastetter

Mit dem Eintritt in die heiligen 40 Tage tritt die ganze Kirche in eine Fastenzeit ein, die wir als österliche Bußzeit bezeichnen. Blättert man durch die Zeitungen, steht das Thema Fasten auch in den säkularen Medien wieder hoch im Kurs. Claudia Schwarz schrieb in der Neuen Zürcher Zeitung einen großen Artikel zu „Viel mehr als nicht essen. Fasten liegt im Trend. Dabei geht es nicht nur um den Verzicht, sondern auch darum, Nahrungsmittel zu sich zu nehmen, die einem guttun“ (NZZ vom 16.2.2021. Internationale Ausgabe, S. 26) Die immer noch nachklingende Vorstellung des Fastens als „Zuchtinstrument und Mittel zur Selbstkasteiung“ wird abgelöst von einem neuen Paradigma des „Achtsam essen[s]“ (ebd.), einem neu erwachenden Geist durch das Fasten und einem Energieschub, der ein eupho-risches Glücksgefühl auslösen würde. Kurzum, Fasten wird verstanden in dem Sinne, „sich selbst etwas Gutes zu tun“ (ebd.). „Im besten Fall“, so die Autorin, „ist Fasten auch ein Weg der Einkehr und Besinnung“, wie man es in der Kultur der Religionen finde.

Aufs Ganze gesehen drängt sich der Eindruck auf, dass sich im Bereich des Fastens in der abendländischen postchristlichen Kultur eine große Wende vollzogen hat. Diente das christliche Fasten einstmals einer Entleerung und Abkehr von der Selbstbezogenheit durch die Trias Fasten, Gebet und Almosen, wird mit dem zeitgenössischen Fasten ein neue Hinkehr zu dem, was dem Selbst guttut, vollzogen. Dabei steht nicht mehr so sehr der Aspekt der Buße durch Fasten im Mittelpunkt, sondern die Gesundheit des Selbst. Fasten wird zum Motor der Selbstfindung und Selbstheilung.

Dass mit dem Fasten immer auch ein gesundheitlicher Aspekt gegeben war, wird auch die christliche Tradition nicht verneinen. Doch der positive Nebeneffekt, überzählige Pfunde zu verlieren, die sich über das Jahr angesammelt haben, ist zunächst einmal nur ein Nebeneffekt der österlichen Bußzeit. Fastenzeit in seiner religiösen Dimension ist vielmehr eine Gegenbewegung zur „Sattheit, Sättigung bis an die Grenze des Erbrechens hin“ (JRGS 14/1, 322), wie dies Joseph Ratzinger über ein Wort aus der Benedictus-Regel ausgelegt hat.. Fastenzeit wäre von daher eine Befreiungszeit von der Übersättigung, eine Befreiungszeit von der „Bios-Besorgtheit“, die den Menschen verschlingt, um nochmals mit Ratzinger zu sprechen. Von hier aus wird die Dramatik des Fasten-Turns (-Veränderung, -Bewegung) von der Buße zur Biosbesorgtheit nun etwas deutlicher sichtbar. Liegt im christlichen Fasten gerade das Gegengewicht zur Biosbesorgtheit, wird mit dem postchristlichen Fastenansatz faktisch zu einer neuen Biosbesorgtheit angeleitet.

Von dieser Situationsanalyse her lohnt es, sich von den christlichen Meistern neu zum Fasten inspirieren zu lassen, von Meistern, die selbst in der Praxis der Askese standen und das Fasten pflegten. Einer der großen Fastenden des christlichen Orients war der hl. Ephräm der Syrer (306-373). Er war aber nicht nur Asket, sondern auch ein hochgebildeter Theologe und Hymnendichter, dazu Leiter einer theologischen Akademie, zunächst in seiner Heimatstadt Nisibis, später dann in Edessa, an der er zugleich unterrichtete. Seine Bildsprache hat durch die ungewöhnlichen Bilder und Vergleiche auch heute nichts an Frische verloren; zudem steckt sein Denken voller Überraschungen, sodass sich eine Spurensuche zum großen Themenbereich des Fastens in seinem Werk lohnt. Meist sind es ganz kurze Aussagen, ein Vers in einem Hymnus, eine Zeile, ein kleiner Kommentar, mit dem Wesentliches auf den Punkt gebracht wird. Im Folgenden wird von Ephräms Wortfindung ausgegangen und diese kurz reflektiert, um uns in das Fasten auch geistlich einzustimmen.

Wir wollen dies unter den folgenden Stichworten tun:

  1. Fastengründe
  2. Schwergewicht
  3. Kulinarische Versuchung
  4. Fressgier
  5. Unersättlicher Mund
  6. Erbrechen
  7. Bischofsfasten

1. Fastengründe

In den Nisibenischen Hymnen, einem Hauptwerk des hl. Ephräm, findet sich unter den vielen Strophen und Versen auch eine kleine Passage zur Auslegung eines Details des Jona-Buches. Erinnern wir uns: Auf die Buß- und Umkehrpredigt Jonas, die der Stadt Ninivee nach 40 Tagen ihren Untergang prophezeit, fastet das ganze Volk in einer solchen Umfänglichkeit, dass dieses Fasten sich neben denjenigen im Fastenalter nicht nur die alten und die jungen Menschen auferlegen, sondern auch der König bis hin zum Vieh. Sogar Rinder und Schafe verzichten auf Wasser und Nahrung (vgl. Jona 3,6). Der hl. Ephräm geht hier nun in den Nisibenischen Hymnen den Fastengründen nach, was die eigentliche Motivation zu dieser umfänglichen Fastenaktion in Ninive war und welche Früchte sie brachte.

Wisse, daß die seligen Niniviten, als sie Buße taten, es nicht taten wegen der Hügel, nicht wegen der Gewässer, nicht wegen der Breschen, auch nicht wegen der Bogen, und auch nicht aus Furcht vor dem Klange der Bogensehne taten sie Buße: sie hörten auf eine verachtete Stimme, ließen ihre Kinder fasten, sie machten ihre Jünglinge keusch und ihre Herrscher demütig. (CarNis I, 2)

Ephräm zeigt damit auf, dass dieses heilige Fasten in Ninivee nicht mit säkularen Motivationen vermischt war, sei es wegen der Natur oder Naturerhaltung, sozusagen aus Biosbesorgtheit, sei es aus Furcht vor einer feindlichen Einnahme der Stadt. Sie fasteten vielmehr aus Gehorsam gegenüber der Gottesstimme im Prophetenwort. Ihre Motivation war rein auf Gott gerichtet. Hörend gehorchten sie dem prophetischen Ruf. Dazu nennt Ephräm dann Früchte dieses Fastens, was die umfängliche Fastenaktion bewirkte. Man würde meinen, dass Ephräm auf das Bewahrtwerden Ninivees vor dem Untergang eingehen würde. Stattdessen nennt er als Fastenfrüchte die Reinheit junger Männer und die Demut der Herrschenden. Reinheit im Volk und Demut auf der Herrscherseite, auf der Politikerseite, sind nach Ephräms Interpretation des Jona-Buches damit jene Haltungen der Menschen, die Gott davon abbringen ließ, die Stadt Ninivee zu vernichten. Hinter diesen Aussagen steht freilich eine konkrete Dramatik um die eigene Stadt Nisibis, die in der ersten Hälfte des 4. Jh.s kurz hintereinander gleich dreimal von den Persern belagert worden war und schließlich im Jahr 363 endgültig an die Perser fiel, weshalb die berühmte Theologenschule von Nisibis nach Edessa verlegt wurde. Von daher werden die folgenden Zeilen aus den Nisibenischen Hymnen, die auf das Fasten folgen, verständlicher.

Du hast uns gezüchtigt, und wir haben zugeben müssen, daß es nicht unverdient geschah. Du hast uns gerettet, und wir danken dir, denn wir waren dessen nicht wert. Du hast Gnade walten lassen, obwohl du dich nicht der trügerischen Hoffnung hingabst, daß wir uns bekehren würden. Du wusstest, dass wir sündigten und erkanntest, daß wir wieder sündigen würden; du durchschautest unsere frühere und zukünftige Sündhaftigkeit, als du an uns Gnade übtest. (CarNis I, 2)

2. Schwergewicht

Christliches Fasten erfordert, wie man den Hymnen entnehmen kann, eine echte Bußgesinnung, Bekehrung, Umkehr – ein Sündenfasten. Nicht das Körpergewicht ist hier Fastenmotivation, sondern das Gewicht der Sünden, die schwer wiegen, wie Ephräm in den Nisibenischen Hymnen fortfährt:

Er wog unsere Buße ab, ob sie schwerer sei als unsere Sünde, aber nicht einmal zum Gleichgewicht stiegen die Wa[a]gschalen gleich hoch, da unsere Sünden das Übergewicht hatten und unsere Buße zu leicht war. [130] Schon hatte er den Befehl gegeben, uns für unsere Sünden zu verkaufen, aber seine Gnade war unsere Fürsprecherin. Die Grundschuld mit den Zinsen haben wir mit dem Scherflein bezahlt, das unsere Buße darbot. (CarNis I, 2)

Mit diesen wortgewaltigen Bildern, dass die Sünden auf der Waage Übergewicht haben, gleich einem angefressenen Sündenspeck, der wieder weggefastet werden muss, stoßen wir auf den typisch Ephrämischen Genius einer ausdrucksstarken Bildtheologie, die mit wenigen Worten den Kern der Sache trifft. Hat die Buße im Fasten schon genügend Schwere angenommen, um das Sündenübergewicht aufzuwiegen?

3. Kulinarische Versuchung – das Fasten Jesu

Nicht nur das Alte Testament dient dem hl. Ephräm als Inspirationsquelle für seine Fastentheologie. Nach neutestamentlichem Zeugnis, worauf Ephräm seine Verse in dem folgenden Hymnus stützt, trieb der Geist Jesu in die Wüste (vgl. Mk 1,12-13), um dort 40 Tage lang zu fasten und vom Teufel in Versuchung geführt zu werden. Der hl. Ephräm betrachtet nun aber das Fasten Jesu nicht, wie man vermuten könnte, aus einer moralischen Perspektive, um nach dem Beispiel Jesu zu einem tugendhaften Fasten zu motivieren. Er verlegt die hymnische Reflexion auf die Seite des Widersachers und betrachtet das Fasten Jesu aus der Perspektive des Teufels. So heißt es dann in diesem Hymnus aus dem Mund des Teufels:

Ich reizte ihn nach seinem Fasten durch das lockende Brot, aber er begehrte nicht danach. Zu meinem Verdrusse habe ich mich bemüht, einen Psalm zu lernen, damit ich ihn mit seinem Psalm fangen könnte. Vergebens; da wiederholte ich es ein zweites Mal, er machte aber meine Wiederholung erfolglos. Ich führte ihn auf einen hohen Berg und zeigte ihm alle Güter, bot sie ihm an, er ließ sich aber nicht verlocken. Glücklicher war ich in den Tagen Adams; denn er verursachte mir nicht soviel Mühe, ihn zu überreden. (Car Nis II, 1, 35: Über unsern Herrn und über den Tod und den Teufel II, 1,35)

Die kulinarische Versuchung mit Brot, mit der der Teufel den fastenden Jesus auf seine Seite ziehen will, liest Ephräm parallel mit einer anderen kulinarischen Versuchung, die ins Buch Genesis zurückführt. Der in der Wüste fastende neue Adam wird mit dem ersten Adam im Paradiesesgarten kontrastiert, der das Fasten der Früchte des verbotenen Baumes nicht durchhielt. Der Teufel konnte den neuen Adam mit verlockendem Brot nicht wie den ersten Adam mit der Frucht reizen, da er nicht danach begehrte, während das erste Menschenpaar von der Schlange verführt die verbotene Frucht zu begehren begann, bis beide davon aßen. Die für den Teufel „glücklichen“, da mühelosen und somit paradiesischen Tage des Aufrufs zum Fastenbrechens, die sich von Generation zu Generation fortsetzten, sind mit Jesu Wüstentagen jäh zu Ende gegangen. Die kulinarische Versuchung wird in Ephräms Zusammenschau des Alten und Neuen Testaments zum Auslöser für den Fall des Menschen, das Fasten umgekehrt, zur Überwindung des Falls. Mit dieser frappierenden Kontrastierung des alten und des neuen Adams berühren wir bei Ephräm gleichsam die christozentrische Spitzenaussage des Fastens: dem Teufel Mühe bereiten, dem Bösen entsagen, Christus anhangen, ihn als den wahren Herrn bekennen. Fasten wird hier zum Christusbekenntnis des Christen.

4. Fressgier

In der Motivik um das Fasten spielt Ephräm auch mit der dem Fasten entgegengesetzten Haltung, nämlich mit der Fressgier. Die Völlerei gilt gemeinhin als eine der sieben Todsünden. Aber auch hier ist Ephräms Bildtheologie wieder völlig frei von plumpen Moralismen. Denn auch die Fressgier findet sich nicht, wie man hätte erwarten können, als eine Schwäche im Gläubigen, sondern als Habitus des in diesem Hymnus personifizierten Gestalten Tod und Unterwelt, für die durch Christus nun Fastenzeit angesagt ist:

Der gierige Tod heulte und sprach: „Nun habe ich fasten gelernt, das ich sonst nicht kannte. Seht, Jesus sammelt die Menge um sich, sein Gastmahl aber kündet mir Fasten an. Dieser eine Mensch schließt mir den Mund, der ich den Mund vieler schloss.“ Die Unterwelt aber sprach: „Ich muss meine Fressgier hemmen, es ist nun Hungerszeit. Dieser da, der bei der Hochzeit sich glorreich zeigte, verwandelt wie das Wasser in Wein, so auch das Gewand der Toten zum Leben. (Car Nis II, 1, 35: Über unsern Herrn und über den Tod und den Teufel)

Die Fressgier des Todes findet ein weiteres dichterisches Echo in Ephräms Hymnen zur Kreuzigung, die diese Motivik beibehalten, nun direkt an die Schlange in ihrer Gier gerichtet, die mit der Gier des Todes hier nun zusammenfällt:

Wo bist du, gierige Schlange, Genosse – jenes Räubers, der Adam tötete? – Der Böse hat ihn getötet und seinen Mund verschlossen und die Leichen für den gierigen Tod gemehrt. – Wehe euch beiden! Denn von einem einzigen seid ihr besiegt worden. – Von ein und demselben […] hingt ihr ab und seid nun verloren. – Eva ist im Garten, Adam im Paradies – und ihr seid in der Qual. (Crucif VIII, 14)

Wie der kulinarischen Versuchung begegnet der hl. Ephräm auch der Fressgier auf der christologischen Ebene. Durch Christus ist die Fressgier des Todes und der Unterwelt überwunden, besiegt. Das zeigt aber umgekehrt auch, wo der hl. Ephräm die Fressgier ansiedelt: im Bereich des Todes und der Unterwelt.

An dieser Stelle wäre dann nachzufragen, wie der hl. Ephräm die Stelle im Matthäusevangelium einordnet, wo Jesus die Meinung der Leute wiedergibt, die ihn als Fresser und Säufer einstufen, im Gegensatz zum fastenden Johannes des Täufers, der nicht isst und nicht trinkt (vgl. Mt 11,19).
In einem seiner Auferstehungshymnen dichtet er:

Die Schlemmer hielten ihn für einen Esser, – die Einsichtigen für den Ernährer. – Die Trunkenen hielten ihn für einen Trinker, die Klugen für den, der das All tränkt. – Gepriesen sei seine Vorsehung! (Ress. I, 17)

Haarscharf analysiert hier der hl. Ephräm, dass die Einordnung Jesu unter dem Aspekt des Fressers nur aus der Attitüde der Fressgier der Schlemmer geschehen konnte. Wer selbst der Fressgier verfallen war, konnte in ihm, der Mahl hielt mit den Zöllnern und Sündern, nur Gaumenlust entdecken, während die Menschen mit Einsicht sich zu Jesus als dem, der alle ernährt und somit am Leben hält, bekannten. Es sind die, die nach der Brotvermehrung zum Glauben an ihn kamen, die im Brot, das er ihnen gab, die Lebensfülle empfangen hatten. Genauso verhält es sich mit der Fehlanalyse, Jesu unter die Trinker einordnen zu wollen. Hier spielt Ephräm mit den nahen beieinanderliegenden Verben trinken und tränken. Die Trinker und zur Betrunkenheit neigenden konnten in Jesus nur einen ihresgleichen sehen, die Klugen den, der alles tränkt, bewässert, der letztlich den Lebensdurst des Menschen stillt.

5. Unersättlicher Mund

Ähnlich wie bei der Fressgier ist auch das Motiv des unersättlichen Mundes beim hl. Ephräm zunächst nicht auf der Seite der Kreatur, Tier oder Mensch, anzutreffen, sondern dem Tod zugeordnet, dem durch die Auferstehung Jesu Christi sein unersättlicher Mund verschlossen wurde. So singt Ephräm in einem Kreuzigungshymnus auf das Grab Christi:

Selig bist auch du, einziges Grab! Denn das eingeborene Licht ging in dir auf. – In dir wurde der stolze Tod besiegt; – denn in dir hat der tote Lebendige (den Tod) verscheucht. – Selig dein Schoß; denn in ihm wurde verschlossen – jener allesverschlingende unersättliche Mund. – Engel bekränzen dein Tor mit Strahlen, – voll Freude über unsere Auferweckung. (Crucif VIII, 12)

Die Unersättlichkeit, das nie-genug-haben-können und immer-mehr-wollen, wird in der Ephrämischen Bildwelt nicht Spinnen oder Wölfen, nicht machthungrigen Diktatoren, sondern dem Tod als Inbegriff des nie satt-werdens zugeschrieben. Der Tod, der hier mit der Vorstellung eines personifizierten hungrigen Raubtieres oder nimmersatten Jünglings versehen wird, ist in seiner stolzen Unersättlichkeit in der Tat nicht zu übertreffen. Denn Tag um Tag fallen dem gierigen Tod Menschen in den Rachen, ohne dass es seinen Mund befriedigen würde. Dieser Todesschlund ist durch das Licht der Auferstehung nun besiegt und verschlossen, die Toten fallen dem Tod nicht mehr zu, er wird zum Tor des Durchgangs in das ewige Licht.

6. Erbrechen

Das Erbrechen als Zustand des die Nahrung nicht-behalten-könnens gehört zum letzten Bild in der mit dem Fasten verwandten Motivreihe in der Hymnologie des hl. Ephräm. Denn das Erbrechen zählt, gerade bei starkem Fasten neben anderen Symptomen zu möglichen Nebenwirkungen des Fastens. Beim Fasten kann es passieren, dass der Körper die wenige Nahrung, die ihm zugeführt wird, nicht behalten kann und er sie wieder herauswürgt. Dieses Bild des Erbrechens, das wie die Fressgier unter klassische Essstörungen fällt, verwendet der hl. Ephräm nun in einem der Kreuzigungshymnen in drastischer Weise für die Unterwelt, die Scheol, das Schattenreich des Todes.

Auch jene Sonne, die Leuchte der Menschen, löschte sich selbst aus. – Sie nahm und bereitete vor ihre Decke der Finsternis, – um nicht die Schmach der Sonne der Gerechtigkeit sehen (zu müssen), – in deren Licht die Engel der Höhe erstrahlen. – Die Schöpfung wankte, der Himmel neigte sich, die Scheol erbrach sich, und spie die Toten aus. (Cruz. IV, 14)

Durch den Kreuzestod Christi, das Fasten auf sein irdisches Weiterleben, bekommt in der Hymnik des Hl. Ephräms das Totenreich gleichsam einen Brechreiz und muss die Toten herausspucken, aus dem dunklen Todesmagen ins lichtreiche Leben ausspeien. Das Erbrechen der Toten ist vielleicht das drastischste Bildwort überhaupt aus der Fastenmotivik des hl. Ephräm. Denn gegen einen Brechreiz kann niemand ankämpfen, das Erbrechen überkommt einen, man ist ihm machtlos ausgeliefert. Genauso machtlos sieht der hl. Ephräm das Todesreich der Scheol gegenüber der Macht des Lebens durch die Auferstehung Christi. Die Toten müssen herausgegeben werden, sie sind zum Leben bestimmt, nicht zum Tod. Hierin liegt der große christlich Trost für alle Verstorbenen, aber auch für alle, die um einen lieben Menschen trauern. Christus lässt den Tod die Toten erbrechen. Sie leben mit Christus auf ewig.

7. Bischofsfasten

Kehren wir am Ende zu unserem ersten Stichwort zurück, zur Fastenmotivation. Sie ging einher mit der Situation von Ephräms Heimatstadt Nisibis und wurde an Ninivees Fasten entfaltet. Wir haben gesagt, dass auf die Bußpredigt des Jona Jung und Alt fasteten, Mensch und Tier, Untertanen und die Regierenden. In einem anderen Hymnus findet sich noch eine weitere Person mit freiwillig auferlegtem Fasten, die im alttestamentlichen Kontext von Ninivee naturgemäß noch nicht berücksichtigt werden konnte: das Fasten des Bischofs. Die Ausweitung des Fastens auf die Person des Bischofs, des Hauptes einer Teilkirche, ist in einem Ephräm zugeschriebenen, aber wohl aus späterer Zeit stammenden Hymnus durch eine konkrete heilige Bischofsfigur motiviert; denn Abraham von Nisibis lebte im 7. Jh. Diesem Abraham, Bischof von Nisibis, ist ein eigener Hymnus gewidmet, der einen wichtigen Akzent auf das Fasten dieses vorbildlichen Bischofs legt. Ob nun von Ephräm selbst oder in seiner Linie nachgedichtet, hier wird in jedem Fall das Fasten des Bischofs als der Schutz der Stadt Nisibis besungen:

Dein Fasten sei eine Waffe unserm Land, dein Gebet ein Schild für unsere Stadt, dein Weihrauch verschaffte uns Versöhnung. – Gepriesen sei, der dein Opfer heiligte! Der Hirt, den er von seiner Herde abberief, hatte sie auf geistigen Auen geweidet und mit seinem siegreichen Hirtenstab vor verborgenen Wölfen behütet. Fülle du aus deines Lehrers Platz, der sich nach dem Wohllaut seiner Stimme sehnt; stelle dich hin als eine Säule in der Stadt des bebenden Volkes, durch deine Gebete möge es gestärkt werden! – Gepriesen sei, der dich als Säule hingestellt hat! (Car Nis I, 17: Über Abraham, den Bischof von Nisibis).

Mit dem wenn auch nachephrämischen Hymnus auf das Bischofsfasten wird doch noch ein letzter bedeutender Akzent gesetzt auf die Verantwortung der kirchlichen Hirten für den ihnen anvertrauten Bereich einer Stadt, einer Diözese, würde man heute sagen, der bis hinein in die bischöfliche Fastenpraxis reicht. Der Dichter ist der festen Überzeugung, dass das bischöfliche Fasten vor verborgenen Wölfen bewahrt. Ob er mit ihnen Irrlehrer oder äußere Feinde meint, bleibt hier offen. Jedenfalls wird dem bischöflichen Fasten eine starke Kraft gegen eine aus dem kirchlichen Inneren kommende und von außen gegen die Kirche gerichtete Feindseligkeit zugeschrieben, mit der letztlich die innere und äußere Einheit der Christenheit bewahrt wird.

Conclusio

Unter den sieben Stichworten zum Fasten aus den Hymnen des hl. Ephräms ist uns eine reiche und gänzlich unerwartete Bildwelt begegnet, die das Fasten unter ungewöhnlichen Perspektiven und Blickrichtungen beleuchtet, ohne Moralismus, dafür mit einer starken Christuszentrierung. Man kann in Ephräms Hymnen eine echte Theologie des Fastens nachweisen, mit der das christliche Fasten in das Licht von Tod und Auferstehung Jesu Christi getaucht wird. Ephräms Fastentheologie nimmt nahezu sakramentale Züge an. Das Verlieren der Pfunde, die mit dem Fasten einhergehende Gewichtsabnahme, ist in seiner hymnischen Theologie kein Selbstzweck. Abnehmen beim Fasten ist vielmehr körperlicher, sichtbarer und messbarer Ausdruck der inneren Realität der Buße, die dem Schwergewicht der Sünde entgegenwirkt. Wer beim Fasten Gewicht verliert, drückt damit leiblich aus, dass die Buße an Gewicht zunimmt und der Sündenschwere ein Gegengewicht gesetzt wird. Der ephrämischen Fastentheologie ist eine Verengung auf die eigene egozentrische Biosbesorgtheit, auf das, was mir gut tut, völlig fremd. Er hat beim Fasten eine viel weitere Vision, wir könnten es eine auf die Ewigkeit hin gerichtete kommunale Biosbesorgtheit nennen, die danach fragt, was uns allen zusammen gut tut – nämlich ewiges Leben. Ephräms Fastentheologie zielt auf das gemeinsame Leben ohne Ende in der Christusnähe und Christusfreundschaft.